Glaube und Toleranz
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"Es ist doch egal, was man glaubt,
Hauptsache, man glaubt irgend etwas!" Dieser Satz begegnet uns immer
mal wieder. Jeder Mensch glaubt an irgendwelche Dinge, und wenn er nur an
das glaubt, was er sieht. So unterschiedlich wie die Menschen sind, so
unterschiedlich sind auch ihre Glaubensvorstellungen. Es gibt wohl kaum
zwei Menschen auf der Welt, die bis ins allerletzte Detail genau das
gleiche glauben (Wenn man Religion, politische Überzeugungen, die
Einstellung gegenüber seinen Mitmenschen, Erziehung von Kindern usw. mit
einbezieht). Glaube hat etwas mit der Suche nach Sinn und Wahrheit zu tun.
Der Glaubende meint in der Regel, die Wahrheit oder zumindest einen Teil
davon erfaßt zu haben, die Existenz bestimmter Dinge ist für ihn
Gewißheit. Doch was ist der Unterschied zwischen Wahrheit, Wissen,
Gewißheit und Glaube?
Als Bischof Augustinus an seinem Werk über die Dreifaltigkeit schrieb, hat er folgendes erlebt: Er ging am Strand des Mittelmeeres entlang und sah einen Jungen, wie er Wasser aus dem Meer in ein Sandloch löffelte. Als er den Jungen fragte, was er da mache, antwortete dieser, daß er das Meer austrocknen wolle. Als Augustinus antwortete, daß dies unmöglich sei, entgegnete der Junge: "Genauso wird es Dir nicht gelingen, den dreifaltigen Gott mit Deinen Gedanken zu fassen!"
Mathematisch gesehen wissen wir von der Gesamtwahrheit exakt 0%. Unser Wissen ist nämlich endlich, die gesamte Wahrheit ist unendlich. Wenn man aber einen endlichen Wert durch unendlich teilt, erhält man exakt Null. Neben dem Wissen gibt es noch die Gewißheit. Ein Mensch kann die Gewißheit haben, daß es ein Leben nach dem Tod gibt, ein anderer hat die Gewißheit, daß es keins gibt (ich persönlich gehöre zu der ersteren Sorte). Daran sieht man, daß auch eine Gewißheit etwas Subjektives ist. Das heißt natürlich nicht, daß jede Gewißheit falsch ist, manche Dinge, deren wir uns gewiß sind stimmen, andere stimmen nicht. Für den Glaubenden sind bestimmte Dinge Gewißheit, für den einen diese, für den anderen jene. Der Atheist hat Gewißheit, daß nach dem Tod alles aus ist, der Christ hat Gewißheit, daß es ein ewiges Leben gibt, und der Hindu hat Gewißheit, daß es eine Wiedergeburt gibt. Doch wer hat nun recht? Hier taucht das Problem der Toleranz auf. Wenn wir über eine bestimmte Sache meinen, Gewißheit zu haben, und jemand anderes behauptet das Gegenteil, dann stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen sollen. Insbesondere haben wir dann ein Problem, wenn wir meinen, daß die Auffassung des anderen "völlig falsch" oder gar "gefährlich" sei und unseren Glaubensvorstellungen zutiefst widerspricht. Wenn wir dann auf unserem Standpunkt beharren, wirft man uns oft vor, wir seien "intolerant", weil wir den Standpunkt des anderen nicht akzeptieren würden. Dieser Vorwurf wird besonders oft Christen gemacht, wenn sie behaupten, daß ihr Glaube der "einzig richtige" sei. Wie bei allem kommt es auch bei der Toleranz auf das richtige Maß an. Genauso wie ein Medikament in zu geringer Dosis nichts bewirkt, in richtiger Dosis heilend wirkt und in zu hoher Dosis den Körper vergiftet, genauso gibt es auch bei der Toleranz ein vernünftiges Maß. Wenn wir gar nichts tolerieren würden, hätte jeder Mensch seine unumstößlich "objektive" Meinung und jeder würde dem anderen einen "falschen Glauben" vorwerfen. Wenn wir hingegen alles tolerieren, dann tolerieren wir auch Nationalsozialismus, Marxismus, Haß auf Minderheiten, Terrorismus. Irgendwo müssen wir also Grenzen setzen. Doch wo sollen wir die Grenze ziehen? In der Bibel werden zwei Dinge als besonders wichtig hervorgehoben: Die Nächstenliebe und die Vergebung Jesu. Jesus sagt von sich: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich!" (Johannes 14,6). Das ist alles andere als tolerant! Inwiefern haben Christen die Pflicht, auf die Einzigartigkeit Jesu hinzuweisen und wieviel an anderen Glaubensauffassungen müssen sie tolerieren? Nehmen wir an, eine Oma aus Hamburg möchte mit dem Zug zur Hochzeit ihrer Tochter nach München fahren. Sie fragt einen Bahnbeamten am Hamburger Hauptbahnhof, auf welchem Gleis denn der Zug fahre. "Gleis 12" lautet die Antwort (die hier beschriebenen Eisenbahntechnischen Details habe ich mir ausgedacht, ich weiß nicht, welcher Zug wo und auf welcher Strecke fährt). Nun ist der Oma aber der Weg zum Gleis 12 zu weit und sie steigt in den nächstgelegenen Zug. Dieser hat zwar als Ziel "Berlin", doch die Oma beruhigt sich: "Berlin liegt ja auch irgendwo im Süden!" Dann sieht sie in Berlin einen Zug nach Frankfurt/Oder. "Na ja", denkt sie "Frankfurt (Main) ist ja auf dem Weg nach München, das wird schon stimmen". Und wenn die Oma weiterhin alles toleriert, dann gelangt sie von Frankfurt/Oder nach Warschau, dann nach Kiew, dann nach Moskau, dann nach Ulan-Bator und irgendwann ist sie in Peking. Natürlich kann sie dann wieder über Neu-Delhi, Islamabad, Bagdad, Athen und Rom nach München gelangen (wie gesagt, auf diesen Strecken fahren sicher nicht überall Züge - es soll nur ein Beispiel sein). Aber wenn sie dann ankommt, wird die Hochzeit ihrer Tochter längst vorbei sein und der Spaß dürfte einige 1000 Euro gekostet haben - von der Visumspflicht mal ganz abgesehen. Oder: Ein Urlauber möchte in ein Land nach Afrika fliegen, in dem es Malaria gibt. Anstatt Medikamente gegen Malaria mitzunehmen nimmt er Hustensaft mit. Der wird gegen Malaria jedoch nicht viel helfen, der Urlauber war zu "tolerant". Ich selber habe mal etwas ähnliches erlebt: An einer Konservendose habe ich mir beim Abendessen eine Hautverletzung am Finger zugefügt. In der Nacht spürte ich Schmerzen am Arm und sah, wie zwei blaue Streifen meine Hand hinunterliefen. Ich wußte, daß das eine Blutvergiftung werden könnte, aber ich beruhigte mich: "Gegen Tetanus bin ich ja geimpft!" Als ich am nächsten Tag zum Arzt ging, klärte er mich auf: "Tetanus ist Wundstarrkrampf - das ist etwas anderes als eine Blutvergiftung. Ihre Impfung hätte Ihnen nichts genützt!" Dank der Gabe von Antibiotika ist es bei einer Lymphbahnentzündung geblieben, eine Blutvergiftung wäre ohne Behandlung tödlich verlaufen. Man sieht: Irgendwo muß Toleranz Grenzen haben. Genauso, wie es im alltäglichen Leben richtige und falsche Entscheidungen gibt, genauso ist es beim Glauben. Doch das große Problem ist es, die richtige Entscheidung zu treffen. Während man in den Naturwissenschaften wissenschaftliche Erkenntnisse in aller Regel exakt beweisen kann, so ist die Theologie eine Geisteswissenschaft. Ihre Aussagen gründen sich im Falle des Christentums auf die Bibel, im Falle des Hinduismus auf die Bhagavad Gita usw. Menschen, die auf der Suche nach Wahrheit miteinander diskutieren, müssen den Standpunkt des Gegenübers in dem Sinne tolerieren, daß sie auf eine ihrer Meinung nach "falsche" Behauptung ohne Aggressionen und Haß reagieren, sondern "tolerant", daß heißt: Sie stehen zu ihrer Meinung und dulden ("tolerare" heißt erdulden) gleichzeitig die andere Meinung als Meinung des Gegenübers neben sich. Es kann jedoch von niemand verlangt werden, daß er auf seine Glaubensauffassung verzichtet - wenn er sich überzeugen läßt, dann ist das eine andere Sache. Glaube hat etwas mit Entscheidung zu tun, und um unsere Entscheidungsfreiheit nutzen zu können, müssen wir auch unterschiedliche Glaubensauffassungen kennen. Daher muß jeder Diskussionsteilnehmer das Recht haben, seine Meinung klar und unmißverständlich zu vertreten - er darf die Meinung seines Gegenübers ablehnen und kritisieren, ihm jedoch nicht mit Haß begegnen. Ziel einer Glaubensdiskussion muß es sein, selber der Wahrheit näher zu kommen oder anderen, die sich dafür interessieren, bei der Suche nach Wahrheit zu helfen. Haß und Aggression müssen dabei vermieden werden, weil sie das Diskussionsklima nur vergiften würden. Ich habe manchmal Angst, daß man mir Intoleranz vorwerfen könnte, weil ich klar die Einzigartigkeit und Besonderheit des christlichen Glaubens vertrete und glaube, daß die Aussagen Jesu für uns Menschen fundamentale Bedeutung haben. Meiner Meinung nach ist es eben nicht egal, was wir glauben, sondern ich glaube, daß wir auf die Vergebung Jesu angewiesen sind. In einer anderen Beziehung bin ich hingegen sehr tolerant: Wenn man meinen Glauben kritisiert. Ich möchte dazu ein Beispiel erzählen. Vor einigen Jahren wollte ich in Reutlingen die Solartage besuchen. An einer Brücke sah ich einen älteren Zeugen Jehovas mit seinem Wachtturm stehen. Da ich schon damals (ich war noch Student) sehr an religiösen Diskussionen interessiert war, ging ich auf ihn zu. Er schien ebenfalls Interesse an einer Diskussion zu haben, da er das gleiche tat. Er fragte mich mit recht energischer Stimme:
Wir unterhielten uns darauf etwa eine dreiviertel Stunde über das richtige Bibelverständnis. Ich lernte, daß es nicht "Vater Unser" sondern "Jehova Unser" heißen müsse, "Vater" könne man schließlich jeden nennen, das sei eine Beleidigung Gottes. "Geheiligt werde Dein Name" sei das allerhöchste Gebot, und dieser ist nunmal Jehova, Punkt. "Dein Reich komme" zu beten sei eine schwere Sünde, es muß "Königreich" heißen. Gott ist schließlich der König - alles andere ist Majestätsbeleidigung. Selbstverständlich seien genau 144.000 besonders auserwählt, und das sind alles Zeugen Jehovas. Auf meine Anmerkung, daß in der Offenbarung des Johannes geschrieben steht, daß diese 144.000 aus den 12 Stämmen Israels kämen (Offenbarung 7, 4-8), antwortete er, daß die damaligen Juden die ersten Zeugen Jehovas gewesen seien. Das wußte ich nun wirklich noch nicht, aber man lernt ja nie aus. Schließlich sagte er noch recht üble Dinge über die heutigen Juden, und dann merkte ich irgendwann, daß eine weitere Diskussion keinen Sinn mehr machte. Als ich nun endlich zu meinen Solartagen gehen wollte, bemerkte er: "Herr Wagner, wir werden nach dem Tod an zwei verschiedenen Orten sein!" Ich verstand ihn wohl, versuchte aber, zu vermitteln: "Also", sagte ich, "Jesus sagt "in meines Vaters Hause sind viele Wohnungen" (Johannes 14,2). Dann werden Sie in einer Wohnung für die Zeugen Jehovas und ich in einer für die evangelischen sein!" "Nein" antwortete er hart, "Sie haben mich falsch verstanden. Nach dem Tod gibt es zwei Orte, und da werden wir beide an einem ganz anderen Ort sein!" Diese Prophezeiung tröstete mich sehr, hatte ich doch damals noch oft Zweifel an der Liebe Gottes zu mir. Trotzdem betete ich, daß Gott ihm auch verzeihen möge, wenn ich auch keine Hoffnung hatte, daß es etwas nützt. Mein größter Wunsch ist, daß allen Menschen vergeben wird - die Bibel lehrt jedoch, daß wir die Vergebung Jesu brauchen, die wir annehmen, aber auch ablehnen können - und daß wir unseren Mitmenschen mit Liebe begegnen sollen. Wenn ich den Glauben eines anderen kritisiere, dann geschieht dies nicht, um ihn zu verurteilen, sondern ihn vor einem Weg zu bewahren, der meiner Meinung nach in eine falsche Richtung führt. Wenn jemand meinen Glauben kritisiert, darf er das jederzeit tun - ich hasse deswegen niemanden, selbst, wenn er mich beleidigen sollte.
ergänzt am 24.11.2002
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